Interview zur Dienstvereinbarung Sucht

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Bild: Colourbox

Die Dienstvereinbarung zur Gesundheitsvorsorge und -fürsorge für suchtgefährdete Beschäftigte (Dienstvereinbarung Sucht) ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines gesünderen und unterstützenden Arbeitsumfelds. Es ist entscheidend, dass allen Beschäftigten der FAU bewusst ist, dass Unterstützung vorhanden ist und niemand mit Suchtproblemen allein gelassen wird.

Wir haben Gelegenheit mit Dieter Hack, Diplompsychologe und Mitarbeiter der psychosozialen Beratungsstelle der FAU, über die Dienstvereinbarung Sucht zu sprechen. In diesem Gespräch möchten wir darauf eingehen, wie sich für Gesundheit und Wohlbefinden Beschäftigter der FAU einsetzt wird und welche Maßnahmen ergriffen werden, um Unterstützung für jene anzubieten, die von Suchterkrankungen betroffen sein könnten. Im Verlauf des Interviews geht es u.a. um die Ziele der Dienstvereinbarung, die besondere Rolle der Führungskräfte in diesem Kontext, wie auffälliges Verhalten von Kolleginnen und Kollegen erkannt werden und Betroffenen geholfen werden kann.

Wie wurde die Dienstvereinbarung Sucht entwickelt und welche Stakeholder waren daran beteiligt?

Die aktuelle Dienstvereinbarung Sucht ist eine Überarbeitung einer früheren Version aus dem Jahr 2011 und wurde durch einen Arbeitskreis entwickelt. Dabei waren Vertreter verschiedener universitärer Interessengruppen (Betriebsärztlicher Dienst, Gesamtpersonalrat, Schwerbehindertenvertretung, Jugend- und Auszubildendenvertretung, Personalentwicklung, Betriebliches Eingliederungsmanagment, Sachgebiet Arbeitssicherheit, Gesundheitsmanagment, Konfliktberatungsstelle, Psychosoziale Beratungsstelle) beteiligt.

Welche Ziele verfolgt die Dienstvereinbarung Sucht?

Im Prinzip geht es darum, Suchtprävention und Hilfe bei Suchtgefährdung als Teil des Gesamtkonzepts betrieblicher Gesundheitsförderung an der FAU verbindlich und transparent zu etablieren. Übergeordnetes Ziel ist m.a.W. die Gesundheit, Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Im Einzelnen zielt die Dienstvereinbarung darauf ab Suchtgefährdungen vorzubeugen, einer Verschlechterung entgegenzuwirken und zur Genesung (und Vorbeugung eines Rückfalls) beizutragen. Ein einheitliches Handlungskonzept ermöglicht, das Vorgehen bei entsprechenden Auffälligkeiten transparent zu bestimmen.

Welche Suchtarten werden dabei berücksichtigt?

Es werden sowohl substanzgebundene Störungen (Alkohol, illegale Drogen oder Medikamente) als auch substanzungebundene Störungen (pathologisches Glücksspiel oder Computersucht) berücksichtigt.

In der Dienstvereinbarung ist vorgesehen, dass Beschäftigte der FAU Informationen zu Suchtproblematiken und Hilfsangeboten erhalten. Wo finden die Mitarbeitenden diese Infos?

Informationsmaterialen zum Thema sind zum Beispiel auf der Homepage von FAUgesund zu finden.

Neben Informationsmaterialien gibt es an der FAU auch persönliche Beratungsangebote bei Suchtproblematiken. Welche konkreten Unterstützungsangebote stehen den betroffenen Beschäftigten zur Verfügung und wer kann diese in Anspruch nehmen?

Allen (potentiell) Betroffenen sowie deren Vertrauenspersonen, Kollegen und Kolleginnen steht ein persönliches, fachkundiges und vertrauliches Beratungsangebot zur Verfügung. Anlaufstelle hierfür können insbesondere die Psychosoziale Beratungsstelle und der Betriebsärztliche Dienst sein.

Wie wird die Vertraulichkeit bei diesen Beratungen gewahrt?

Die Beratungsgespräche unterliegen der ärztlichen bzw. psychologischen Verschwiegenheitspflicht seitens der Beratenden.

Führungskräften wird beim Thema Sucht am Arbeitsplatz eine besondere Verantwortung zugetragen. Wie genau sind die Führungskräfte in die Dienstvereinbarung eingebunden und welche Aufgaben haben sie im Umgang mit suchtkranken oder suchtgefährdeten Beschäftigten?

Im Rahmen der Fürsorgepflicht und des Arbeitsschutzes tragen Führungskräfte in besonderer Weise Verantwortung für die Beschäftigten. Ziel deren Eingreifens ist es, betroffene Personen zu motivieren und zu befähigen, Verantwortung für die Wiederherstellung der eigenen Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu übernehmen. Somit tragen sie auch maßgeblich zur Gestaltung eines nachhaltigen Gesundheitsmanagements bei.

Für Personalverantwortliche werden konkrete Handlungsleitlinien zur Prävention und Intervention formuliert:

  • Es ist von entscheidender Bedeutung, potenziell suchtgefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und anzusprechen („Kultur des Hinschauens“), um rechtzeitig angemessene Schritte einzuleiten. Ziel ist es, weitere gesundheitliche Risiken zu vermeiden und Problemen am Arbeitsplatz vorzubeugen.
  • Bei beobachteten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz sollten aufeinander aufbauende und abgestimmte Gespräche geführt werden. In der Dienstvereinbarung werden diese als Führungs- und Klärungsgespräche, Stufengespräche, Rückmeldegespräche und Nachsorgegespräche bezeichnet. Diese Gespräche dienen dazu, angemessene Maßnahmen zu ergreifen und Unterstützung anzubieten.
  • Wenn äußere Anzeichen darauf hinweisen, dass ein/e Mitarbeiter/in berauscht ist oder sich in einem Zustand befindet, der auf suchtbedingtes Verhalten und dessen Folgen zurückzuführen ist, sollte er oder sie von seiner/ihrer Arbeitsstelle entfernt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass keine Eigen- oder Fremdgefährdung erfolgt.

Die DV Sucht sieht ein klares Verfahren im Umgang mit suchtgefährdeten oder -erkrankten Beschäftigten vor. Um eine angemessene Unterstützung für Betroffene bereitstellen zu können, ist es zunächst notwendig, diese zu erkennen. Welche Verhaltensweisen könnten auf eine Suchterkrankung hindeuten?

Anlass für eine Intervention im Sinne der Dienstvereinbarung Sucht sind suchtmittelbedingte Auffälligkeiten, die den Arbeitsablauf und die Arbeitssicherheit beeinträchtigen. Natürlich gibt es nicht wirklich eine übergreifend verlässliche „Checkliste“ für Verhaltensänderungen durch Suchtprobleme. Je nach Person und deren sozialen Einbettung, Substanz, Konsummuster bzw. Suchtverhaltensbereich zeigen sich unterschiedliche problematische Entwicklungen. Außerdem können vorhandene Auffälligkeiten auch durch sehr verschiedene Hintergrunderkrankungen bedingt sein.

Hilfreich könnte die Beobachtung von Veränderungsindizien evtl. in folgenden Bereichen sein:

  • Auffälligkeiten im Arbeitsverhalten, wie zum Beispiel unentschuldigtes Fehlen, das nachträglich mit einem Urlaubstag abgegolten werden soll; nachlässige oder unzuverlässige Arbeitsleistung; versäumte Termine; Überziehen der Pausen und unregelmäßiger Arbeitsbeginn bzw. vorgezogenes Arbeitsende; Anhäufung nicht vereinbarter Überstunden; Trunkenheit oder vermindertes Kurzzeitgedächtnis oder auffällige Beeinträchtigung des mittelfristigen Gedächtnisses.
  • Auffälligkeiten im Sozialverhalten, wie zum Beispiel nicht mehr unterscheiden können zwischen sachbezogener Kritik und persönlicher Kritik; zunehmendes alles auf sich beziehen und Abwehr bzw. Leugnung eigener Fehler; sozialer Rückzug, kaum Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten; Unruhe und Ängstlichkeit; zunehmend negatives Denken; ausfälliges Verhalten, z.B. Aggressivität ohne nachvollziehbaren Anlass; Teilnahmslosigkeit bis hin zur Gleichgültigkeit; Überangepasstheit bzw. Überkorrektheit; enorm gesteigertes Redebedürfnis ohne aktiv zuhören zu können oder euphorische Überspanntheit.
  • Auffälligkeiten im Gesundheitsverhalten und äußeren Erscheinungsbild, wie zum Beispiel Vernachlässigung des Erscheinungsbildes (Körperpflege, Kleidung, etc.); nachlässiges Essverhalten bzw. Gewichtsverlust; häufige Fehltage, die als Kurzerkrankungen ohne ärztlichen Nachweis entschuldigt werden; häufige Krankmeldungen durch unterschiedliche Ärzte; permanentes erschöpft sein, verbunden mit „mir wird alles zu viel“; häufige Kopfschmerzen; Schlaflosigkeit und Antriebsarmut oder das Gegenteil: ausgeprägte Hyperaktivität und Unruhe; verwaschene Sprache und trunkene Reaktionen ohne Alkoholfahne.

Wie können Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen auf Anzeichen von Suchtproblemen reagieren?

Sie können die wahrgenommenen Auffälligkeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten ansprechen und frühzeitig auf interne oder externe Unterstützungsangebote hinweisen.

Verhalten sich Beschäftigte auffällig und vernachlässigen wiederholt arbeitsrechtliche Pflichten, wird ein Fürsorge- und Klärungsgespräch vorgesehen. Dabei muss die Vernachlässigung zunächst nicht eindeutig mit dem Gebrauch von Suchtmitteln in Verbindung gebracht werden. Was ist Ziel dieses Gesprächs und welchen Charakter sollte es haben?

Das Führungs- und Klärungsgespräch ist ein elementarer Grundbestandteil gesundheitsorientierter Führung. Darin werden wahrgenommene wiederholte Veränderungen oder Auffälligkeiten, die in Verbindung mit persönlichen, gesundheitlichen oder sozialen Problemen der Person gesehen werden, exemplarisch angesprochen und soziale Unterstützung angeboten. Ein Ziel ist dabei auch, zu sondieren, inwieweit die betroffene Person Schwierigkeiten im Umgang mit Suchtmitteln hat, die im Zusammenhang mit den Störungen am Arbeitsplatz stehen.

Das Gespräch ist vertraulich und hat keinen disziplinarischen Charakter. Es wird vom unmittelbaren Vorgesetzten mit der betroffenen Person geführt. Die schriftliche Dokumentation verbleibt bei den Teilnehmenden und wird nicht in der Personalakte hinterlegt. Wenn keine weiteren Auffälligkeiten vorliegen, findet nach 6-8 Wochen ein Rückmeldegespräch statt, in dem die Beteiligten sich gegenseitig Feedback geben, wie sich die Situation nach dem Fürsorge- und Klärungsgespräch entwickelt hat. Damit ist die Angelegenheit abgeschlossen und die Dokumentation wird vernichtet.

Zeigt das Gespräch keine Wirkung und arbeitsvertragliche Pflichten können erneut nicht eingehalten werden, wird ein Stufenverfahren vorgesehen. Könnten Sie uns kurz erläutern, wie dieses Verfahren abläuft und welche Maßnahmen in den einzelnen Stufen ergriffen werden?

Werden in der Zeit erneut arbeitsvertragliche oder dienstrechtliche Pflichten verletzt oder vernachlässigt, mutmaßlich im Zusammenhang mit suchtbedingtem Verhalten, wird die Phase der Stufengespräche beschritten. Diese werden in einer geregelten Abfolge insbesondere als sog. Interventionsgespräche geführt, bei denen die Auffälligkeiten am Arbeitsplatz im Zentrum stehen. Jedes Gespräch enthält ein verbindliches Hilfsangebot. Die Gespräche werden in der Aufeinanderfolge immer offizieller, mit immer mehr Beteiligten (z.B. mittelbare Vorgesetzte oder Vertrauenspersonen) und verstärkten Konsequenzen geführt.

Rückmeldegespräche schließen sich an, wenn nach einem Stufengespräch eine positive Veränderung eingetreten ist und keine weiteren Auffälligkeiten sichtbar geworden sind. Ziel des Rückmeldegespräches ist es dabei, den betroffenen Beschäftigten eine anerkennende Rückmeldung über beobachtete positive Veränderungen sowie die Einhaltung von Absprachen zu geben.

Bei erneuten Auffälligkeiten wird dagegen das nächste Stufengespräch angesetzt. Die konkreten zeitlichen Vorgaben und Durchführungseinzelheiten können in der Dienstvereinbarung nachgelesen werden. Hier stehen konkretere Informationen zu beteiligten Personen, Art und Weise der Dokumentation und arbeitsrechtlichen Maßnahmen.

Wie können Mitarbeiter auf die Dienstvereinbarung zugreifen und sich darüber informieren?

Die Dienstvereinbarung Sucht kann hier eingesehen werden.

 

 

Wir möchten uns herzlich bei Dieter Hack für seine Einblicke und wertvollen Informationen bedanken. Wir schließen dieses Interview in der Hoffnung ab, dass die Dienstvereinbarung Sucht dazu beitragen wird, ein unterstützendes und gesundes Arbeitsumfeld an der FAU aufrechtzuerhalten. Wir ermutigen alle Beschäftigten der FAU, von den angebotenen Ressourcen Gebrauch zu machen, um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu fördern.