Zeit für … nichts

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Bild: I. Meinhard

Verbringen Sie manchmal freiwillig Zeit für gar nichts, ohne irgendein Ziel zu verfolgen?

Manchmal ist es schon schwierig, „Zeit für mich“ zu finden, Zeit, in der ich mir nicht entfremdet werde. Zum Beispiel für kurze Zeit bummeln gehen, ein Buch lesen, saunieren. Entspannen – damit ich nachher wieder weiter machen kann. Wenn ich genau hinsehe, verfolge ich auch in der „Zeit für mich“ das eine oder andere Ziel. Ich möchte wieder fit werden für die Arbeit oder für die Gemeinschaft im Freundeskreis. Ich möchte etwas Neues lernen, in meinem Hobby besser werden, eine Reise vorbereiten. Es tut gut, wenn ich merke, dass ich etwas erreichen kann.

Aber so wird auch die „Zeit für mich“ genutzt, möglichst effektiv. Eingeplant in den Tag und die Woche soll auch sie ein Ergebnis bringen. Es gilt die alte Weisheit: „Kaufet die Zeit aus!“ (Brief an die Gemeinde in Ephesus, Kapitel 5).

Deswegen diese verschärfende Frage: Kann ich Zeit völlig zweckfrei verbringen? Nichts tun, nichts erreichen wollen? Das ist der ursprüngliche Sinn der Stundengebete in der Klostergemeinschaft, einfach da sein, sieben Mal am Tag plus um Mitternacht, gemäß der spirituellen Weisheit im Psalm 119 (Vers 164 mit 62). Und was kommt dabei heraus? Das muss eben offen bleiben, ganz und gar offen. Haben Sie das schon versucht, Zeit ganz ohne Ziel?

Die Geschichte der Orden ist voll von Erfahrungen, dass es nicht gelingt, Zeit völlig ohne Zielsetzung zu verbringen. Auch ein Leben im Rhythmus der Stundengebete kann verzweckt und im Wettbewerb geführt werden. Es gehört zum Menschsein, dass wir das tun. Wir nehmen das Leben in die Hand.

Zum Menschsein gehört aber auch, dass wir das Leben aus der Hand geben können. Einfach da sein. Wenn dabei etwas geschieht, dann nur, wenn nichts gemacht wird, wenn es keine Erwartung gibt, kein Ziel gesetzt ist. Was dann geschieht, ist offen, aber manche Mystikerinnen haben versucht, es zu beschreiben. Ich habe nur eine kleine Erfahrung damit. Es geschieht, dass ich aufatmen kann, trotz allem, was beengen und beängstigen will. Es geschieht, dass ich mich beschenkt erlebe, beschenkt mit meinem Dasein, beschenkt mit Lebenszeit. Die Zeit, die ich wirklich gar nicht selbst füllen will, wird erfüllt von anderswoher. Mit anderen Worten: Ich ahne Gott – und die Zeit wird tatsächlich zum Gebet. Nur, je mehr ich versuche, diesen Vogel absichtsvoll zu erhaschen, desto weiter fliegt er davon.

Versuchen Sie es mal, nicht „gemanagete Zeit“, nicht „Zeit für mich“, sondern „Zeit für nichts“.

Ihre

Dr. Isolde Meinhard

Hochschulpfarramt an der FAU

Kochstr. 19 (hinterer Eingang)
91054 Erlangen