Die guten Vorsätze und die Macht der Gewohnheiten
Nie werden so viele gute Vorsätze getroffen wie bei einem Jahreswechsel, aber auch nie verlaufen so viele gute Vorsätze im Sand wie zu Beginn eines neuen Jahres. Dabei wäre doch der Neustart eines Jahres auch ein guter Neustart für die Veränderung von unliebsamen Gewohnheiten. Aber warum ist das so schwer?
Mit Sicherheit kennen Sie dies auch. Das neue Jahr ist erst wenige Tage alt und die ersten Vorsätze sind schon wieder über Bord geworfen. Sie haben sich vorgenommen, etwas für Ihre Gesundheit zu tun, die Ernährung umzustellen oder auch, einfach nur mehr zu trinken oder weniger Süßes zu essen. Oder Ihr Vorsatz war, abends nicht mehr so viel fernzusehen, sondern die Zeit für mehr Bewegung zu nutzen. Vielleicht haben Sie sich sogar vorgenommen, einen Fitness-Kurs zu buchen. Oder Sie hatten vielleicht ein noch größeres Ziel vor Augen, wie das Rauchen aufzuhören.
Und es ist immer wieder passiert, dass Sie diesen Vorsatz nicht einhalten konnten, obwohl es wirklich Ihr aufrichtiger Wunsch war, etwas zu verändern. So passiert es regelmäßig, dass Sie trotz Ihrer guten Vorsätze, doch ganz automatisch wieder zum Naschschrank wandern und sich – ohne groß nachzudenken – die Schokolade herausholen.
Oder dass Sie sich ganz automatisch nach dem Abendessen und Aufräumen wieder auf das Sofa setzen und die alltägliche
Tagesschau verfolgen, anstatt laufen zu gehen. Und die Zigarette? Auch diese wird wieder ganz automatisch angezündet, sobald man sich den Kaffee aus der Maschine herauslässt.
Sicher, sagen Sie jetzt: „Aber das sind vielleicht ja alles einfach nur dumme Angewohnheiten“
Aber sind Gewohnheiten wirklich „dumm“?
Lassen Sie uns da einmal genauer hinsehen.
Warum ist es denn überhaupt so, dass wir „Gewohnheiten“ haben?
Haben Sie darüber schon einmal richtig intensiv nachgedacht?
Gewohnheiten haben nämlich ganz viel Gutes. Gewohnheiten sind dazu da, dem Menschen das Leben zu erleichtern. Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten jeden Tag überlegen, wie und wann Sie aufstehen müssen oder müssen täglich neu lernen, wann und wie Sie Zähne putzen oder wie man sich anzieht. Das wäre doch sehr aufwändig. Sie müssten jeden Tag auf die Minute planen und einen Zeitplan erstellen, weil nichts mehr automatisch funktioniert! Unvorstellbar oder?
Gewohnheiten haben also durchaus ihre Daseinsberechtigung und es ist gut, dass es sie gibt.
Und wie entstehen nun Gewohnheiten?
Als Kind lernen wir z. B. von unseren Eltern, dass man sich mehrmals täglich die Zähne putzt. Dies machen wir sogar zu den gleichen Zeiten, es entstehen also Rituale. Und je öfter man dies wiederholt, umso mehr geht es uns in Fleisch und Blut über. Wir machen es automatisch, ohne nach zu denken. Es entsteht dieser zuvor genannte Automatismus, der uns im Alltag hilft. Genauso haben wir uns aber auch die anderen, die „dummen“ oder aber auch „liebgewonnenen“ Gewohnheiten antrainiert. So ist es z. B. im Laufe der Zeit ein Ritual geworden, abends nach einem anstrengenden Tag mit dem Partner gemeinsam fern zu sehen. Oder es gibt die Gewohnheit der Zigarette zum Kaffee oder in der Gesellschaft. Wenn wir alles oft genug machen, dann ergibt dies einen Automatismus, den wir sehr schwer wieder ablegen können.
Umgekehrt ist es natürlich genauso schwierig für uns, wenn Gewohnheiten einfach wegbrechen, weil sich dadurch etwas in unserem Leben verändert. Sind Sie schon einmal umgezogen und haben noch monatelang nachts ihren Lichtschalter an der falschen Stelle gesucht oder sind sogar in die entgegengesetzte Richtung gelaufen? Manchmal führt dies sogar zu kleinen Unfällen und Verletzungen.
Meistens machen abrupte oder schnelle Veränderungen etwas mit unserer Psyche, schlimmstenfalls werden wir sogar richtig krank. Und das passiert nicht nur beim Verlust eines Menschen, einer Trennung o. ä. sondern schon bei Veränderungen in unseren „kleinen Gewohnheiten“.
Es ist wie ein Schock. Der Automatismus kann nicht so schnell auf „aus“ schalten wie wir das in diesem Moment bräuchten. Die aktuelle Zeit zeigt uns das ganz deutlich. Wir können nicht mehr in unseren Fitnesskurs gehen, obwohl wir das schon viele Jahre 1-2 mal pro Woche gemacht haben oder das wöchentliche Treffen mit der besten Freundin/dem besten Freund fällt aus. Das gemeinsame Mittagessen mit der Familie am Sonntag kann nicht stattfinden. Das macht etwas mit uns. Wir werden aus unseren Gewohnheiten gerissen, haben das Gefühl, unser Leben nicht mehr leben zu dürfen und können schlecht mit dieser Situation umgehen.
Trotzdem haben wir das Gefühl, nicht jeder hat die gleichen Probleme, Veränderungen anzunehmen, und zu akzeptieren. Kennen Sie z. B. diese Menschen, die Bücher immer wieder an die gleiche Stelle platzieren, die morgens immer die gleiche Frühstückstasse nutzen, die immer den gleichen Weg in die Arbeit fahren, seit Jahren im gleichen Unternehmen arbeiten, vielleicht nie umgezogen sind und deren Tag immer organisiert und strukturiert sein muss? Sicherlich fällt ihnen so jemand aus Ihrer direkten Umgebung ein – just in diesem Moment ein, wo Sie diesen Artikel lesen. Was denken Sie, könnte passieren, wenn wir diesem Menschen all seine lieben Gewohnheiten nehmen würden?
Im Gegenzug dazu kommt Ihnen sicher auch ein ganz anderer Mensch in Ihrer Umgebung in den Sinn, der schon oft den Arbeitsplatz gewechselt hat, in der ganzen Welt herumgereist ist, immer spontan ist, vielleicht sogar schon mehrere Scheidungen hinter sich hat und trotzdem ein positiver Zeitgenosse ist, weil er gelernt hat, dass jede Veränderung auch ein Neuanfang ist? Die Resilienzforschung (resiliere (lat.) = abprallen, zurückspringen) beschäftigt sich mit genau diesem Thema – der individuellen Fähigkeit des Menschen mit Stress und Lebenskrisen umzugehen und welche Hilfe ihm dabei seine eigenen psychischen und sozialen Ressourcen sind. Oft kommt hier als Vergleich die biegsame Weide ins Spiel.
„Weil die Weide biegsam ist, fürchtet sie nicht den Sturm.“
(japanisches Sprichwort)
Vielleicht sagen Sie sich jetzt „Schön, ich weiß jetzt, warum es mir so schwerfällt, Gewohnheiten abzulegen, aber was mache ich denn jetzt mit meinen guten Vorsätzen, die sich zu neuen Gewohnheiten entwickeln sollen?
Gibt es da denn jetzt eine Lösung?“
Sie werden es nicht glauben, aber gerade die alten Gewohnheiten können Ihnen nun eine Hilfestellung sein.
Nutzen Sie alte eingefahrene Gewohnheiten aus und verbinden Sie diese mit einer neuen.
Oder hängen Sie eine neue Gewohnheit an ein Ritual, dass Sie vielleicht sogar mehrmals täglich machen.
Sie trinken z. B. zu wenig?
Dann könnten Sie vor jedem Zähneputzen schon 1 Glas Wasser nehmen. Das wären schon 2-3 Gläser mehr am Tag als zuvor und ein guter Anfang. Die Schwierigkeit ist es aber, am Anfang genau daran zu denken, dass man dies ja tun wollte.
Hier muss man ja nicht an das Zähneputzen an sich denken, das macht man automatisch, sondern einfach nur daran denken, dass man noch etwas zusätzlich tun wollte. Kleben Sie sich einen Smiley an Ihr Zahnputzglas. Der sagt nur Ihnen, an was Sie denken wollten. Und beginnen Sie nicht mit dem Zähneputzen, bevor Sie sich wirklich dieses Glas Wasser geholt und getrunken haben. Denn Sie wissen ja, Sie müssen es regelmäßig tun, damit es wirklich ein Automatismus wird. Es ist wie ein Training.
Sie könnten das Thema Trinken natürlich auch mit jedem Toilettengang verbinden. Sie bringen etwas weg und füllen dies gleich wieder auf. Gut ist es, sich dies auch so zu visualisieren. Auch hier empfiehlt sich ein Smiley an der Toilettentüre, den Sie sehen, wenn Sie den Raum verlassen und der nur Ihnen sagt, an was Sie denken wollten.
Da Sie rauchen, haben Sie sich fest vorgenommen, zum Ausgleich mehr Obst und Gemüse zu essen? Dann tun Sie dies direkt nach der Zigarette. Visualisieren Sie sich auch hier wieder, dass Sie das Negative durch das Positive kompensieren. Das verschafft gleich ein gutes Gefühl. Hier kleben Sie als Erinnerungsstütze etwas auf Ihre Zigarettenschachtel und zünden Sie sich die Zigarette auf keinen Fall an, wenn Sie kein Obst oder Gemüse greifbar haben.
Natürlich könnte die Zigarette auch eine Tasse Kaffee sein und der Smiley könnte auf der Lieblingstasse kleben.
Sie möchten sich Obst und Gemüse ins Büro mitnehmen und vergessen dies immer am Abend zuvor zuzubereiten? Was tun Sie am Abend zuvor regelmäßig? Womit könnten Sie dies verbinden, damit Sie zukünftig ganz automatisch daran denken? Und wie könnten Sie sich hier am besten erinnern.
Sicherlich fallen Ihnen schon die ein oder anderen Gewohnheiten oder Rituale ein, die sie mit einer neuen Gewohnheit verbinden könnten. Seien Sie kreativ!
Wichtig ist nur, dass man gerade am Anfang konsequent am Ball bleibt, damit sich wirklich ein Automatismus entwickeln kann und der gute Vorsatz zu einer guten Gewohnheit wird. Und hierzu sind vor allem zu Beginn Hilfestellungen einfach unerlässlich.
Das können z. B. sein:
- Erinnerungen als Termine ins Handy programmieren
- Post it zur Erinnerung an Dinge heften
Werden Sie kreativ!
Autorin: Linda Grandpair, FAUgesund